Joachim Barloschky: Ein Leben lang Rebell

WK, Kurier am Sonntag 02.07.2017 / von: Jürgen Hinrichs

Der Rebell
Joachim Barloschky kämpft für Gerechtigkeit


Es gibt Menschen, die verändern sich nicht. Nicht so jedenfalls, dass aus dem Friedfertigen ein Krieger wird. Aus dem Geizigen ein Gönner. Aus dem Freigeist ein Faschist. So etwas gibt es zwar, und gar nicht mal selten, aber dann sind da eben auch Menschen, die ganz bei sich bleiben. So jemand ist Joachim Barloschky.

 

Er ist ein Linker, ein Marxist, wie er im Buche steht. Aber keiner, der daraus ein Buch macht, kein Dogmatiker. Er ist eher das Gegenteil, ein Pragmatiker. Barlo, wie er gerufen wird, ist Barlo. Ein außergewöhnlicher Mensch, und bekannt wie der bunte Hund. Hallo, ein Winken, schon grüßt wieder jemand.

Am Tisch vorm Café Heinrich. Dass viele Leute vorbeikommen, ist hier jeden Tag so. Das Café liegt an einer der Schneisen, die für Radfahrer und Fußgänger in die Innenstadt führen. Wallanlagen, Bischofsnadel, zack ist man am Marktplatz. Barlo trinkt Tee, Kuchen will er keinen. Lieber raucht er zwischendurch eine. Neben ihm auf dem Stuhl liegt ein quietschgelbes Pappschild. Barlo, wie sollte es anders sein, kommt geradewegs von einer Demonstration. Die Kitas müssen ihre Gruppen vergrößern. So will es der Senat. Die Politik hat nicht vorgesorgt, sie hat versagt, und muss nun zu einem letzten Mittel greifen. Barlo war mit den Kindern seiner Kita vorm Rathaus und hat protestiert. Schon jetzt, sagt er, sei es mit der Betreuung hart an der Grenze und manchmal darüber hinaus. Es ist seine eigene Erfahrung und keine Sicht von außen. Seit sechs Jahren, seitdem er im vorgezogenen Ruhestand ist,
hilft er jeden Montag für acht Stunden in Tenever in der Kita Kinderhafen aus. "Das beglückt mich." Und bedrückt ihn, wenn er merkt, dass er nicht allen Kindern gerecht werden kann, weil die Gruppen zu groß sind.

Tenever – natürlich ist es wieder Tenever, wo sich der 65-Jährige engagiert. 21 Jahre lang war er in dem Hochhausviertel der Mann, von dem die Bewohner Hilfe erwarten konnten, wenn sie welche brauchten. Ein Job, der einen Namen hat, Quartiersmanager, und das ist putzig, denn Barlo, der Klassenkämpfer und Kommunist, der er früher war, wollte sicherlich nie Manager werden und auch nicht so genannt werden. Es ist ein Begriff der Behörden. Sei's drum und ganz egal, denn weder haben sie ihn in Tenever mit Herr Barloschky angesprochen und schon gar nicht als Quartiersmanager. Barlo, das hat gereicht.  Tenever war sein großes Ding. Dadurch hat er sich einen Namen gemacht. Da ist einer, merkten Politik und Gesellschaft, der lässt nicht nach, der ist widerborstig, manchmal auch penetrant, wenn es um die Interessen seiner Leute in der Siedlung geht. Nicht als Sorgen-Onkel, das war ihm nie genug. "Ich wollte klar machen, woher die Probleme kommen, dass sie mit den Strukturen zu tun haben. Im Grunde war das immer auch politische Bildung." Vollversammlungen, Demonstrationen, Arbeitsgruppen – ihm lag daran, dass die Bewohner in Tenever, Menschen aus allen Ecken der Welt, ihre Sache selbst in die Hand nehmen. Barlo zitiert Perikles, da ist die dritte Zigarette geraucht und der Tee noch nicht getrunken: "Wer keinen Anteil nimmt an den Dingen seiner Stadt,
ist nicht ein stiller Bürger, sondern ein schlechter."

Tenever hatte damals einen schlechten Ruf. Zu viele Menschen auf zu engem Raum. Das löste Aggressionen aus. Es gab Armut , Arbeitslosigkeit und eine Jugend ohne Perspektive. Barlo ging dagegen an, er und andere, und irgendwann, spät genug, hat sich tatsächlich was verändert. Vor 13 Jahren wurden die ersten Hochhäuser abgerissen. So kam Luft und Licht ins Viertel. Mehr noch aber half aus Barlos Sicht, dass damals die Gemeinschaft gestärkt wurde, mit diversen Aktionen und Organisationen. "Mein täglicher Reformismus", sagt er. Denn natürlich: am liebsten würde er Revolution machen. Vor Kurzem war er in Nottingham, der Heimat von Robin Hood: "Nehmt den Reichen und gebt den Armen", zitiert er, "eine hochaktuelle Losung!" Barlo ist Bremer. In der Stadt geboren und nie weggegangen. "Seit 1967 bin ich auf der Straße, und das bin ich bis heute", sagt er. Der Protest gegen den Mief und Muff, wie er die Bundesrepublik von damals beschreibt. Gegen den Vietnam-Krieg der Amerikaner. In Bremen waren es die sogenannten Straßenbahnunruhen, ausgelöst von Fahrpreiserhöhungen, tatsächlich war es ein Aufstand der Jugend. "Ich bin damals festgenommen worden und bekam von meinen Eltern Stubenarrest", erzählt Barlo. So ging es weiter. Bei der Bundeswehr stellte er sich quer, sollte drei Wochen in die Zelle, doch die Mannschaft unterstützte ihn. "Wir streiken", drohte sie den Vorgesetzten. Barlo blieb frei, wurde aber versetzt.

Er war Erziehungshelfer in einem Freizeitheim, hat danach ein wenig studiert, doch wirklich wichtig wurde dann die Partei, die DKP, wo er bis zu seinem Austritt im Jahr, als die Mauer fiel, als Funktionär angestellt war. Dem Kommunismus hat er abgeschworen, dem Marxismus nicht. "Einmal im Jahr, immer in den Sommerferien, lese ich das Kommunistische Manifest. Das hat auch literarische Qualitäten." Barlo hat die Stimme eines Arbeiterführers, rau und durchdringend. Ein Raucher-Organ. Aktuell setzt er seine Durchschlagskraft für das Bremer Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen ein. Die Forderungen: Ein kommunales Bauprogramm für 5000 bezahlbare Wohnungen. Leerstand bekämpfen. Einfaches Wohnen zulassen. Die Gewoba stärken und ehemals öffentliche Wohnungsbestände zurück zur Kommune holen. Dass Bremen sich zurzeit bemüht, die Wohnungsgesellschaft Brebau zu übernehmen – "hervorragend!", lobt Barlo. Wie wichtig staatlicher Einfluss sein kann, hat er in Tenever erlebt. "Früher waren dort zwei Drittel der Wohnungen in privater Hand, da ging es allein um Rendite, es wurde Monopoly gespielt. Heute gehört fast alles der Gewoba. Es wird nicht mehr spekuliert." Barlo, der Kämpfer, anders geht es nicht. Er kennt die Leute, und sie kennen ihn. Überall dabei, wo Solidarität und Gerechtigkeit gefordert werden. Und natürlich: Sofort kommt jemand anderes an
den Tisch, als sein Gesprächspartner aufsteht. Ein Grinsen. Hallo, grüßt Barlo. Wie geht es Dir?


„Seit 1967 bin ich
auf der Straße, und das
bin ich bis heute.“
Joachim Barloschky