Termine und Aktionen

Plenum am Montag, PDF
04.03.2024 um 17:00 Uhr


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Wir sind an allem schuld! - Vierzig Jahre danach: Was 68 war und was daraus wurde.

»I can't get no« erzählt von einem Wochenende, das als heiteres Fest begann und zu einem wütenden Schlagabtausch wurde. 15 Leute, die Ende der 60er gemeinsam zur Schule gingen und den Aufstand probten, sehen sich nach 40 Jahren wieder und reden über ihr Leben. Sind sie, die 68er, wirklich an allem schuld: Kindermangel, Verfall der Werte, Hedonismus - also an all dem, was seinerzeit begann? Damals blockierten sie in Bremen Straßenbahnen, kifften zusammen, warfen Scheiben ein, bemalten ihre Gymnasien mit Parolen, gingen zu Dutschke in die »Lila Eule«, tanzten im »Beat-Club«. Heute sind sie Staatsanwälte, Werber, Ärzte, Journalisten, Manager, Politiker, Hochschullehrer. Einige sehen sich noch als Linke, andere sind unpolitisch, andere eher konservativ.

In einer Villa in Worpswede haben die 15 ein Wochenende lang darüber geredet und gestritten, was sie damals vom Leben erwartet und bis heute daraus gemacht haben. Und darüber, was sie von neuer Bürgerlichkeit, neuem Patriotismus, neuer Religiosität und all den anderen Schlagworten halten, die für den aktuellen Versuch einer geistig-moralischen Wende stehen. »I can't get no« macht die Faszination des Aufbruchs von damals deutlich, die Jahre, in denen sich Pop und Politik, Sex und Drogen so mischten, dass jeder das Gefühl hatte: »time is on my side«. Die 15 erzählen von ihren Hoffnungen und Enttäuschungen, aber auch von einem Lernprozess, der sie heute klüger auf die 60er blicken lässt. An diesem Trip durch vier Jahrzehnte Bundesrepublik beteiligen sich u.a. die Bundestagsabgeordnete Krista Sager, der Rechtsanwalt Bernhard Docke, die Journalistin Tissy Bruns, der Hochschullehrer Christoph Köhler, der Sozialmanager Joachim Barloschky, die Generalstaatsanwältin Angela Uhlig van Buhren, der Stadtteilbürgermeister Robert Bücking, der Werbeunternehmer Jork de la Fontaine.

Diese autobiografischen Notizen sind entstanden in Vorbereitung auf ein Wochenendseminar (20.-22. April 2007 in Worpswede), das als Grundlage diente für das von Cordt Schnibben und Irmela Hannover herausgegebene Buch:
„I can’t get no - Ein paar 68er treffen sich wieder und rechnen ab“.
Mit einem Nachsatz 2011.

Joachim Barloschky, Barlo
geboren 28.01.1952 in Bremen als ältester Sohn der LehrerInnen Ursula und Dieter Barloschky; zwei wunderbare Geschwister: Katja und Boris.

50er / 60er Jahre:

So weit ich mich erinnern kann (und will) eine schöne, unbeschwerte Kindheit und Jugend (insbesondere wenn ich an die Kinderarmut heute denke und an die Sorge vieler um eine mögliche Zukunft wegen fehlender Ausbildungsplätze und Studiengebühren usw.) im ersten Bremer Neubauviertel Gartenstadt- Vahr. Gebaut „für breite Schichten des Volkes“; damals noch mit Kohleofen, später dann umgerüstet über Ölofen zur Zentralheizung. Grundschule In der Vahr und
Gymnasium Parsevalstraße, aber vor allem das Leben auf dem Spielplatz mit Kletterturm; Versteckenspielen in den Kellern und Gebüschen, Turnverein und Fußball auf dem Spielplatz bringen Freude und viele Freunde. Schulerfolge recht gut - allerdings Englisch-Nachhilfe vom leistungsbetonten und strengen (Backpfeifen inklusive) Lehrer-Vater geht nicht ohne Tränen ab.

Zeitungslesen am Frühstückstisch (nicht nur den Sportteil; deshalb kannte ich schon als 11jähriger alle Politikernamen und die Geographie der Welt) vom Vater gelernt; Soziale Gerechtigkeit und Ablehnung von Kriegen von beiden Eltern (und einem privaten Besuch der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald 1964). Und mitbekommen habe ich auch Begeisterung für Sprache und Literatur (Lindgren, Kästner etc. und Gottfried Keller, Sagen des klassischen Altertums etc.) und Musik (Dvorak „Aus der neuen Welt“, Beethoven). Also, ich komme aus guten bildungsbürgerlichen Verhältnissen.

1966 durfte ich als 8-Klässler an der Politik-AG der Oberstufe teilnehmen. So lernte ich das Grundgesetz kennen, das Meinungsfreiheit und einen sozialen und
demokratischen Bundesstaat versprach - aber die KP war verboten. Wie das? Ich schrieb an die Bundeszentrale für politische Bildung - die schickten das Verbotsurteil. Kleingedruckte 150 Seiten - das war mir zuviel und verstanden hatte ich es auch nicht.
1967 erstmals Teilnahme am Ostermarsch mit selbst gebasteltem peace Zeichen auf gelber Öljacke. Gut, dass ich über die Freundschaft unserer Eltern Christoph Köhler kennen lernte. Die gründeten gerade in Bremen-Nord eine Schülergruppe. Mit ihnen und Rolf Gerken (der hatte eine tolle Freundin, er hörte Jazz und es gab Pernod) von meiner Schule organisierten wir die Gründung des Unabhängigen Schülerbundes (USB) in Bremen, November 1967. (erste pikante Erfahrung mit Anmeldungen von Aktionen bei der Polizei).
Ab da ging es Schlag auf Schlag.

  • Aktionen gegen den Vietnamkrieg am Heiligabend auf den Domtreppen („Denkt nicht nur an Eure Weihnachtsgans - denkt auch an Vietnam“.
  • Beinahe Verhaftung - Domprediger Abramczik rettete mich.
  • Die Straßenbahnblockaden / Demonstrationen Januar 1968: Als aktiver USB’ler gleich aktivst dabei; und leider gleich am ersten Abend schon verhaftet (weitere Festnahmen in den 70/80er Jahren erlebten mich da
    schon abgeklärter). Jedenfalls brachte das drei Tage Teilnahme-Verbot an den Aktionen durch die Eltern - die aber dafür daran teilnahmen. Am Ende der „Draufhauen! Draufhauen, Nachsetzen!“ (Polizeipräsident) -Woche
    dann die Debatten der 10.000 auf der Domsheide und in der Woche drauf hatten „wir“ gewonnen - wohl vor allem weil wir Rückhalt in der Bevölkerung gewannen und der zunehmende Druck aus den Betrieben Bürgermeister Koschnick zum Einlenken zwangen. (siehe: Detlef Michelers, „Draufhauen, Draufhauen, Nachsetzen! Die Bremer Schülerbewegung, die Straßenbahndemonstrationen und ihre Folgen 1967/70“, Temmen). Ab
    jetzt schien alles möglich; und ich hatte 0,50 DM von einem Straßenkameraden gewonnen, weil ich gewettet hatte, dass unsere Aktionen was bringen (die 0,50 DM verlor ich im August, als ich ihm nicht glauben wollte, dass die Warschauer Vertragsstaaten in Prag einmarschiert
    seien).
  • Das Größte: Teilnahme am Vietnamkongress im Februar 1968 in Westberlin. Ein Wochenende nur Politik und Demo (Ho Ho Ho Chi Minh); Dutschke aus der Nähe und ältere Männer wie Gollwitzer, Sartre, Bloch, die aber auf unserer Seite waren. Das riesige Transparent über der Bühne des Audimax: Die FNL / Vietcong - Fahne und Che Guevara- Sprüche, die mich fortan ein Leben lang begleiteten: “Verwandelt Euren Hass in Energie“. „Die Pfl icht jedes Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen“. Wir waren stark, selbstbewusst und mit einem unbändigen Sendungsbewusstsein ausgestattet - allerdingsbekam ich auch mit: „Hier im Inneren des Landes, da leben sie noch“ (Degenhardt): die Spießer und Alt-Nazis, angestachelt durch Bild-Zeitung und auch den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Schütz: „Seht Euch diese Typen an!“ sein Aufruf an die Berliner Amerika-Zujubler. Randnotiz: In einer Bremer Wahlkampfrede 2007 hat der Kulturstaatsminister Bernd Neumann, der Gedichte eines meiner Lieblingslyriker Erich Fried auch schon mal verbrennen wollte, ausgerufen: „Tommy (Spitzenkandidat der CDU Thomas Röwekamp), mach weiter so. Lass Dich nicht von solchen Typen wie Kurnaz irritieren!“. Wie die Stimmung in Teilen der Bevölkerung war, konnte man am Attentat auf Rudi Dutschke erkennen - „Bild hat mitgeschossen“ lauteten unsere Sandwich-Plakate bei der Blockade der Vertriebsstelle der Bremer Bildzeitung. Ich fuhr anschließend gleich mit nach Hamburg um dort unter der Losung „Enteignet Springer“ (immer noch vollkommen richtige Losung; plus Bertelsmann & Co.) zu protestieren, zu blockieren und so die Auslieferung der Bild-Zeitung erfolgreich zu verhindern.
  • 11. Mai 1968 der Sternmarsch auf Bonn gegen die Notstandsgesetze. Beeindruckend vor allem auch weil da nicht nur wir SchülerInnen und StudentInnen sondern auch so viele Gewerkschafter dran teilnahmen. Und beim Bremer Schulstreik / Vollversammlungen gegen die Notstandsgesetze am Tag der Abstimmung im Mai war ich delegiert, um die Barkhof-USB - Gruppe zu unterstützen und spürte das erste Mal, dass ich gut und argumentativ und emotional reden kann.
  • Das tägliche APO-Leben aber war die Schülerbewegung; überall entstanden Basisgruppen oder Grundeinheiten des USB; zentral versammelten wir uns im Sozialistischen Club in der Buchtstraße. Das Faltblatt „a“ sorgte (vor allem mit der Beardsley-Graphik) für Furore; ich hatte zwar nicht alles verstanden, aber es vor der Parsevalstraße verteilt - und vor der Beschlagnahme durch den Direktor mit dem Hinweis erettet, dass die Faltblätter meinen Eltern gehörten.
  • War es zwar kein Problem zum Vietnam-Kongress und auch über Nacht nach Hamburg zur Springer- Blockade zu fahren, so war es nichtsdestotrotz ein erbitterter Kampf zur Abschlussfeier unserer Schulklasse länger als bis 23 Uhr zu bleiben. Ja, wir Ältesten müssen die Jugendfreiheiten erkämpfen, also auch lange Haare.
  • Überhaupt es war ein geiles Jugendleben; mit Feten, Saufen, endlosen Diskussionen und Fahrten (seit 1966 war ich auch bei den Hansischen Piraten; FKK-Paddelgruppe mit Wochenendtouren auf Weser, Wümme und Hamme aber auch Großfahrten im jugoslawischen Mittelmeer und nach Schweden). Außerdem das Jugendfreizeithe im Bispinger Str. hinterm Haus mit Tanz (ich hörte am liebsten Kinks, Move; Small Faces, Dylan - und die Beatles), Mädchen, Abhängen und Agitieren und Politisieren. Wir waren so viele junge Leute, die in Bewegung kamen. Nur mit dem Sport hörte es auf. Nicht wegen der falschen antiautoritären Losung: „Sport ist Mord“, sondern weil die wichtigsten USB-Sitzungen und Aktionen samstags waren - und die waren für die Revolution und meine Seele wichtiger als die Handball - Punktspiele der B-Jugend des HTSV.
  • 1968 wechselte ich auf das „Reform-Gymnasium“ Huckelriede, wirtschaftswissenschaftlicher Zweig. Hier hatten wir Linken schnell die Mehrheit. Mein Freund Robert Bücking und ich bemalten 1969 die Schule mit Losungen wie „Mitbestimmung bei der Direktorenwahl!“ und benannten die Schule in „Che Guevara - Institut“ um - aber wir waren etwas dumm (bzw. das schlechte Gewissen zu stark), so dass wir uns wegen Farbfl ecken am Mantel drei Tage später der Polizei stellten. Allerdings waren wir stark genug, die anderen drei „Mittäter“ nicht zu verraten. Das gab - Dank einer liberalen Lehrerschaft - nur „Consilium Abeundi“. Und ich hatte die Chance 6 Wochen Arbeiterklasse zu sein. Denn die Reinigung der Schule kostete mich 6 Wochen Hilfsarbeiter auf dem Bau während der Sommerferien. Glücklicherweise war ich dann während der Sommerferien 1970 mit meinem Freund Cordt Schnibben wunderbare 6 Wochen trampend in England (ein wunderschönes Erlebnis, nicht nur am Grab von Karl Marx und nicht nur weil das unsere Englisch-Noten gleich verbessert hat) - sonst wären wir möglicherweise bei einer Aktion unseres Freundes Robert dabei gewesen, die ihn endgültig von den Bremer Schulen verbannte. Weitere Pubertäts- (Plakataushänge „Schluss mit der Onanie am Lehrerpult“, Klau von Klassenbüchern gegen den „Zensurenterror“ - Verwürfelt Euer Leben selbst) und Revolutionsspiele („Aktion Courvoisier“, die Roten gegen die Weißen, Wie baut man einen Molotow-Cocktail) folgten.
  • Erste unbewusste Kontakte mit der noch illegalen KP: Gespräche und Delegationsreise in den Bezirk Schwerin.
  • Auseinandersetzung mit dem Faschismus / Neofaschismus (die NPD saß in sieben Landtagen; auch in Bremen) per Braunbuch und Filmen von E. Leiser und M. Romm und Anna Seghers „Das siebte Kreuz“.
  • Große Demonstrationen gegen NPD („Bei Thadden ist der Teufel los“) und Strauß vor der Stadthalle. Anekdote: Als um Mitternacht die Polizei meine Mutter aus dem Schlaf klingelte um mitzuteilen, dass der Verhaftete Joachim Barloschky von der Wache abgeholt werden könnte und meine Mutter antwortete, dass ihr Mann mit dem Auto nicht da sei, weil er auf der Demo ist, kam Katja von der Demo gerade nach Hause und rief: Mama, die Bullen haben Barlo verhaftet - ja die Familie war aktiv.
  • Entdeckung / Erkenntnis, nach einem kleinen Freud / Wilhelm Reich- Umweg (Der Sozialismus verhindert den Ödipus-Komplex oder so ähnlich - oh, peinlich), dass man das kapitalistische System in Frage stellen muss, dass der Marxismus dabei sehr behilfl ich ist und dass man die Gesellschaft nur verändern kann, wenn man viele ist und kräftiger, also die arbeitende Bevölkerung auf seine Seite zieht („Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm das will!“ - Siehe die „wilden“ Streiks 1969). Dementsprechend überall Zirkel / Schulung des Marxismus. Mir hat das Kommunistische Manifest so gut gefallen, das ich es bis heute jährlich einmal lese: Und Engels war auch Klasse!

Revolution machen hieß für mich in den Sechzigern:

Die Gesellschaft verändern! Aktiv sein! Demokratie durchsetzen! Solidarität mit Vietnam! Gegen Ungerechtigkeiten angehen! Solidarität üben! Marxismus studieren! Gegen Faschismus und damit Kapitalismus angehen (denn: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Bertolt Brecht). Und die KP legalisieren (wie es in allen Ländern Europas bis auf die faschistischen Regimes in Portugal und Spanien normal war). International (istisch) sein! Ein buntes Leben führen. Die ganze APO-Zeit, dieser politische und kulturelle Aufbruch, diese Kraft und der Optimismus wurde von Hilde Domin in ihrem Gedicht „Wer es könnte“ schon 1963 herbeigesehnt: „Wer es könnte / die Welt / hochwerfen / daß der Wind / hindurchfährt“.