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04.03.2024 um 17:00 Uhr


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schlicht siedlungen

Der Abriss rückt näher - Im August berichtete der WESER-KURIER über Schlichtbausiedlungen: Bewohner kämpfen weiter um ihr Zuhause

Simone Helber hat Angst, dass sie ihr Zuhause verlassen muss. Mit ihrem Mann und sieben Kindern wohnt sie in einer sogenannten Schlichtwohnung.

Bremen. Simone Helber ist wütend. Und sie macht sich große Sorgen. "Wir haben Angst, dass wir bald hier raus müssen", sagt sie. "Wahrscheinlich noch in diesem Jahr." Simone Helber bewohnt mit ihrem Mann und sieben Kindern eine sogenannte Schlichtwohnung. Sie liegt in der Siedlung Am Sacksdamm/Alte Landwehr in Hemelingen. 78 Wohneinheiten gibt es hier, nur noch 13 sind belegt. Wer vor den einstöckigen Häusern steht, mag denken: Die sind zu marode, um dort vernünftig zu leben. Auch die Ausstattung in den Häusern hat wenig mit zeitgemäßem Wohnstandard gemein: Geheizt wird mit Öfen, teilweise gibt es kein Warmwasser.
1926 wurden die Gebäude auf die Schnelle errichtet, um Menschen in Notsituationen hier kurzfristig eine Unterkunft zu bieten. Für die Ewigkeit waren sie nie gedacht. So wie auch die zwei weiteren Quartiere mit Schlichtwohnungen: Das sind die Holsteiner Straße in Walle mit rund 40 und die Reihersiedlung in Oslebshausen mit rund 50 Wohnungen. Auch dort steht der Großteil der Wohnungen leer, teilweise seit vielen Jahren. Viele sind bereits verrottet und Brandruinen.
Simone Helber lebt seit 1999 mit ihrer Familie Am Sacksdamm, damals mussten ihr Mann und die vier Kinder umgehend aus ihrer alten Wohnung ausziehen und wussten nicht wohin. "Natürlich kann man sich etwas anderes vorstellen, eine Wohnung mit Zentralheizung und anderen Annehmlichkeiten", sagt sie. "Aber das ist unser Zuhause, unser Quartier, etwas anderes können wir uns nicht leisten und nicht vorstellen. Wir kümmern uns hier umeinander, haben einen Zusammenhalt, den es selten so gibt. Dafür kämpfe ich."

Simone Helbers Kampf gilt der Vonovia AG. Alle drei Schlichtbausiedlungen sind im Besitz des börsennotierten Wohnungsbaukonzerns. In der Zentrale in Bochum gibt es ganz klare Pläne für die Quartiere in Bremen: Die Vonovia will die Schlichtwohnungen größtenteils abreißen und dafür neue Wohnungen bauen. Die Abrisspläne werden jetzt ernst: Wie eine Sprecherin des Konzerns dem WESER-KURIER auf Nachfrage bestätigte, soll in der Holsteiner Straße bereits 2017 mit dem Neubau begonnen werden. "Aktuell werden städtebauliche Bebauungskonzepte für den Siedlungsbereich entwickelt", sagt die Sprecherin. Der Baugrund sei vermessen, ein Bauantrag in Vorbereitung.
Und auch für die Siedlung Am Sacksdamm, in der Simone Helber mit ihrer Familie lebt, dürften bald die Bagger anrollen. Aktuell laufe ein Ideenwettbewerb, Architekturbüros seien beauftragt, ein Konzept für die Neubebauung zu entwickeln. "Es ist seit Langem bekannt, dass die beiden Siedlungen keine angemessenen Wohnverhältnisse mehr bieten und nicht mehr nachhaltig saniert werden können", teilt die Vonovia-Sprecherin mit. "Daher planen wir hier in Abstimmung mit der Stadt den Bau neuer und bezahlbarer Mietwohnungen für Familien."

Was die Vonovia mit der Reihersiedlung vorhat, ist dagegen noch nicht klar. Derzeit werde an einer Lösung gearbeitet. Diskutiert wurde zum Beispiel, dass die Vonovia die Siedlung an den Verein Wohnungshilfe übergibt. Dazu ist es bislang aber nicht gekommen. Unter anderem befürchteten Anwohner und Beirat, dass dort ein Problemgebiet entstehen könnte, wenn die Wohnungshilfe in der Reihersiedlung Menschen unterbringe, die anderweitig nicht unterzubringen seien, wie es hieß.
Simone Helber hat bereits mehrere Angebote der Vonovia für Wohnungen im Bremer Bestand des Konzerns bekommen. "Das war ein Witz nach dem anderen", sagt sie. "Was sollen wir als neunköpfige Familie mit einer Fünf-Zimmer-Wohnung anfangen? Die Wohnung war dazu noch in einem extrem schlechten Zustand, überall Schimmel in den Ecken, außerdem roch es nach Urin. Die Elektrik war aus den 1950er-Jahren", sagt sie. "Außerdem war sie viel zu teuer. Warum saniert man unsere Wohnungen nicht einfach?", fragt sie.

Den Erhalt der Schlichtbausiedlungen fordert auch Joachim Barloschky vom Aktionsbündnis "Menschenrecht auf Wohnen". "Eine Sanierung ist mit einfachen Mitteln möglich. Bremen braucht dringend bezahlbaren Wohnraum", sagt er. Gemeinsam mit dem Diakonischen Werk will das Aktionsbündnis Druck auf die Stadt ausüben, etwas für den Erhalt der Quartiere zu unternehmen. In Bremen gebe es rund 600 Obdachlose, ihnen könnte ein Teil der leer stehenden Wohnungen angeboten werden, schlägt Landesdiakoniepastor Manfred Meyer vor.

Am 13. Januar wird es einen Termin in der Baubehörde geben: Neben Vertretern des Ressorts von Bausenator Joachim Lohse (Grüne) und der Sozialbehörde von Senatorin Anja Stahmann (Grüne) sind auch Joachim Barloschky und Simone Helber zu dem Treffen eingeladen. Ihr schwant nichts Gutes. "Wahrscheinlich werden wir darüber informiert, dass unsere Siedlungen von der Vonovia abgerissen und wir woanders untergebracht werden sollen", sagt Simone Helber.
Damit dürfte die Bewohnerin womöglich recht haben: Am 19. Januar tagt die Baudeputation, in der ein Bericht zur Zukunft der Schlichtbausiedlungen auf der Tagesordnung steht – mit entsprechenden Beschlussempfehlungen für die Bürgerschaft. In der Vorlage für die Sitzung, die dem WESER-KURIER vorliegt, steht für die Siedlung Am Sacksdamm: "Im Ergebnis ist festzustellen, dass ein hoher Instandsetzungs- und Modernisierungsbedarf verbunden mit einem sehr hohen finanziellen Aufwand besteht, der wirtschaftlich nicht darstellbar ist." Auch für die Holsteiner Straße gelte dies. Inwieweit eine Nutzung der Reihersiedlung möglich sei, werde aktuell unter Federführung des Sozialressorts erörtert, heißt es weiter in der Vorlage.
Die Fraktion der Linken hatte in einem Antrag an die Bürgerschaft gefordert, die Siedlungen Am Sacksdamm/Alte Landwehr und die Holsteiner Straße durch eine sogenannte Erhaltungssatzung vor dem Abriss durch die Vonovia zu bewahren. Dieser Antrag wurde zunächst an die Baudeputation zur Beratung verwiesen, in der Vorlage für die Sitzung am 19. Januar empfiehlt die Deputation der Bürgerschaft, dies abzulehnen. Für eine Erhaltungssatzung seien die Voraussetzungen nicht erfüllt.
Für die Zukunft der Reihersiedlung in einem zweiten Punkt hatte die Fraktion der Linken den Senat dazu aufgefordert, Verhandlungen mit der Vonovia, der Gewoba und dem Verein für Innere Mission aufzunehmen. Mit dem Ziel, dass die Wohnungen durch die Gewoba erworben und in Zusammenarbeit mit der Inneren Mission als Wohnungen gezielt für von Obdachlosigkeit bedrohte Menschen zur Verfügung gestellt und angemessen saniert werden. Dies empfiehlt die Deputation der Bürgerschaft, sofern die Gespräche zwischen dem Verein Wohnungshilfe und der Vonovia nicht zu einem "positiven Abschluss kommen".

Für Simone Helber und ihre Familie bedeutet das allem Anschein nach der baldige Auszug aus ihrem Zuhause. Über die Weihnachtszeit hat sie versucht, das Thema zu verdrängen, wie sie sagt. Kämpfen will sie aber trotzdem, solange es geht. "Das ist unser Zuhause."