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Weser-Kurier vom 02. März 2017
von Kathrin Aldenhoff


Studierende haben Obdachlose in Bremen befragt – und fordern nun mehr Engagement von der Politik, um die Wohnungsnot zu verhindern

wohnungsnot
Sie studieren Soziale Arbeit und haben sich intensiv mit dem Thema Wohnungsnot beschäftigt: Recarda A.-Mensah, Gerald Grüneklee, Stephanie Rauf und Joachim Koldehof (von links).

Bremen. Das Thema ihres Seminars hat die Studierenden der Hochschule nicht kalt gelassen, das wird gleich klar. An der Tafel in Raum 158 steht: "Wohnungsnot bekämpfen statt verwalten!", und die Studierenden des Studiengangs Soziale Arbeit, die ihre Ergebnisse präsentieren, tun das mit Leidenschaft, mit Empörung, mit einer Haltung. 110 Gespräche haben 35 Studierende der Hochschule mit Menschen geführt, die obdachlos sind oder die Angst haben, obdachlos zu werden. Das, was sie gehört haben, hat sie erschüttert.

Es ging den Studierenden bei ihrer Befragung nicht um Zahlen, nicht darum, allgemeingültige Aussagen über die Wohnungsnot in Bremen zu treffen. Es ging vielmehr darum, offene Gespräche mit Menschen zu führen, die das Gefühl haben, nicht gehört zu werden. Wohnungsnot sei ein großes Thema und müsse in der Öffentlichkeit Thema bleiben, finden die Studierenden.

 "Die Menschen, die wir getroffen haben, wurden an den Rand der Gesellschaft gedrängt und haben kaum Chancen und Möglichkeiten, dort wegzukommen", sagte eine Studentin. Und zitierte einen Befragten: "Menschen wie wir fallen doch durch jedes Raster." Viele Menschen, mit denen sie gesprochen habe, fühlten sich abgestempelt, einige fühlten sich ihrer Menschenwürde beraubt und hatten das Gefühl, sich für ihre Situation rechtfertigen zu müssen. 

Die Studenten fordern von der Politik, mehr zu unternehmen, um die Menschen davor zu bewahren, ihre Wohnung zu verlieren. Die Politiker in der Bürgerschaft und in der Deputation hätten auf sie den Eindruck gemacht, als interessiere sie das Thema nicht. Und sie sehen ein Problem in ihrem zukünftigen Berufsfeld, in der Sozialen Arbeit: "Die Träger werden erst aktiv, wenn die Menschen schon in schwerwiegenden Problemen stecken", sagte ein Student. "Da muss ein Umdenken stattfinden."

 Die Studierenden sprachen mit Besuchern des Café Papagei, einer Einrichtung, in der Wohnungslose für wenig Geld ein Frühstück bekommen, sich aufhalten und duschen können. Sie sprachen auch mit denen, die sie am Unterstand neben dem Straßenbahndepot in Gröpelingen trafen – einem Ort, den der Streetworker Jonas Pot d'Or im Sommer vergangenen Jahres für Arbeitslose und Menschen mit Suchtproblemen aufgebaut hat. Außerdem befragten sie Wohnungslose, die sie in der Innenstadt trafen, Verkäufer der Straßenzeitung und Bewohner der Schlichtwohnungen Am Sacksdamm, in der Holsteiner Straße und der Reihersiedlung.

"Wir trafen Menschen, die resigniert waren und kaum noch Perspektiven für sich sahen. Und welche, die voller Kampfgeist waren", erzählte eine Studentin. Viele Bewohner der Schlichtwohnungen zum Beispiel seien nicht bereit, ihre Wohnungen einfach so zu verlassen, nachdem die Wohnungsbaugesellschaft Vonovia vor einiger Zeit beschlossen hatte, sie abreißen zu lassen. "Einer hat uns gesagt: Wenn ich hier rausgehe, dann mit den Füßen zuerst", sagte die Studentin. Einige seien stolz auf das, was sie selbst an den einfachen Wohnungen repariert hätten.

Sie hätten sich an die Vonovia gewandt, um herauszufinden, was denn nun Stand der Debatte sei, sagten die Studierenden. Denn viele Bewohner der Schlichtwohnungen wüssten nicht, ob sie nun bleiben könnten oder nicht. "Wir hätten uns fundierte Antworten gewünscht", sagte eine Studentin. Sie hätten auf ihre Anfragen aber gar keine Antwort von der Wohnungsbaugesellschaft bekommen.

"Soziale Arbeit ist politisch", sagte Jörn Hermening, einer der beiden Dozenten. Er ist Ortsamtsleiter in Hemelingen, und gemeinsam mit Joachim Barloschky leitete er das Seminar an der Hochschule, das sich mit Obdachlosigkeit und Wohnungsnot beschäftigte. "Menschen erfrieren auf der Straße, und hier stehen Wohnungen leer", sagte Hermening. "Das ist ein Skandal." Wohnungen seien nicht dafür da, Profit zu machen. Und Joachim Barloschky, der außer Dozent an der Hochschule auch Sprecher des Aktionsbündnisses Menschenrecht auf Wohnen ist, sagte: "Soziale Arbeit soll Menschen in schwierigen Situationen helfen. Gleichzeitig geht es aber darum, Probleme nicht zu individualisieren, sondern gesellschaftliche Ursachen offenzulegen."

Die Gespräche hätten den Studierenden die Bedeutung gezeigt, die das Wohnen habe: "Es geht nicht ums Wohnen, sondern darum, zu leben und sich zuhause zu fühlen." Und noch etwas haben sie
gelernt: "Die Menschen möchten wieder eine Wohnung haben, und sie wollen nicht wie Objekte behandelt werden." Als ein Zuhörer sagte, nur wenige Menschen, die auf der Straße leben, hätten Obdachlosigkeit als Lebensentwurf freiwillig gewählt – "für die meisten ist das eine Situation, aus der sie fliehen möchten, aber nicht können", gab es Applaus.