Eine Frage der Menschenwürde

Ein Kommentar über die Wohnungsnot von Joachim Barloschky

Weser-Kurier vom 12. September 2019

Die Wohnungssituation ist in Bremen wie in anderen deutschen Großstädten äußerst angespannt. Bezahlbarer Wohnraum fehlt. Die Mieten sind im letzten Jahr um 8,5 Prozent gestiegen. Die Kaufpreise für ein normales Einfamilienhaus haben sich um 22 Prozent erhöht.

Knapp die Hälfte der Haushalte in Bremen zahlt eine
Miete von mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens, ein Viertel sogar über 40 Prozent des Nettoeinkommens.

Die Löhne und Gehälter halten nicht Schritt mit den Mieterhöhungen, die Betriebskosten steigen, und teilweise vorgeschobene Eigenbedarfskündigungen treffen die Mieter hart. Unzumutbar ist es auch, wenn Mietenden nach einer „Modernisierung“ eine existenzbedrohende Mieterhöhung zum Beispiel der Vonovia ins Haus flattert. Besonders betroffen von der Wohnungsnot sind die 600 Obdachlosen sowie einige Tausend Menschen ohne eigene Wohnung. Am Mittwoch, 11. September, erinnerte der Internationale Tag der Wohnungslosen an deren Lage.

Am „Wohnungsmarkt“ wird verdient. Vor allem Wohnungskonzerne erwerben mit dem Geld anonymer Kapitalgeber immer größere Wohnungsbestände. Die Vonovia besitzt in Bremen bereits 12 000 Wohnungen, die früher der Stadt Bremen gehörten. Das Renditestreben verletzt hier unmittelbar ein Menschenrecht: das Recht auf Wohnen. Die aktuelle Studie des arbeitgebernahen Instituts IW übersieht diese Entwicklung. Statt
aufs Zahlenwerk sollte man hier auf die Lebenswirklichkeit vertrauen. Wer gegenwärtig eine Wohnung sucht, weiß, was am Bremer „Wohnungsmarkt“ los ist.

Die neue bremische Regierung muss schnell Abhilfe schaffen: Mietendeckel und Mietpreisstopp für fünf Jahre! Mehr sozialer Wohnungsbau mit mindestens 30 Jahren Bindung! Mitbestimmung der Mietenden in den Wohnungsgesellschaften! Ein Sofortprogramm „Housing First“ für Wohnungslose statt Vertreibung aus der Innenstadt! Und mehr Streetworker und Streetworkerinnen sowie Achtung und Respekt!

Sicher ist in dieser Situation auch die Eigentumsfrage zu stellen. Schluss mit dem Verkauf von Bremer Boden an Rendite-Jäger! Kommunale Wohnungsgesellschaften stärken! Und gerade neue Wohnungsgenossenschaften müssen jetzt konkret gefördert werden. Wohnen muss Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge werden wie Bildung und Gesundheit. Für ein Leben in Würde braucht der Mensch eine renditefreie, bezahlbare, leistbare Wohnung. Und auch das Engagement der Mieter, Mieterinnen und Wohnungslosen! Und die Solidarität mit ihnen!

Unser Gastautor ist Sprecher des Bremer Aktionsbündnisses Menschenrecht auf Wohnen. Er ist zudem Lehrbeauftragter an der Hochschule Bremen für den Bereich Soziale Arbeit/Gemeinwesenarbeit.