Hochschule Bremen HEARING
Hochschule Bremen HEARING 20.01.2016
Fachkräftebedarfe in der Sozialen Arbeit im Land Bremen -
Anforderungen und Modelle für die Zukunft
Weiterentwicklung der Studienangebote an der HSB für den sozialen Sektor
Beitrag von Joachim Barloschky (mit Dank an Maren Schreier für wichtige Hinweise)
1. Ausgangspunkt ist mein persönlicher Bezug als Lehrbeauftragter seit 2004 und
25 Jahre Amt für Soziale Dienste (Quartiersmanager Tenever). In der Quartiersmanager – Rolle ist man ja alles mögliche: Gemeinwesenarbeiter, Sozialpädagoge, aber eben auch Lehrer, Öffentlichkeitsarbeiter, Politiker, Hausmeister, Manager, Pastor, Moderator, Aktivist; und vor allem (Bewohner-)Beteiliger.
So habe ich eben im Vorfeld dieses Hearings mich mal mit großen Ohren umgehört, in verschiedenen Szenen.
Was schält sich heraus.
Die Rolle des Sozialen (und eben auch der Sozialarbeit) ist in den letzten Jahrzehnten gesellschaftlich stark zurückgedrängt worden (und damit auch humanistische Werte, Einstellungen und die Gedanken der Aufklärung). Das ist bedingt durch den Neoliberalismus und seine Verschärfung der Konkurrenz und der „Ellenbogengesellschaft“, der verschärften Selbstvermarktung und Selbst-Optimierung.
Die Gesellschaft, und damit die Städte, spaltet/n sich mehr und mehr. Der Reichtum wächst und die Armut nimmt zu. Das führt u.a auch dazu, dass Bremen einerseits die Stadt mit der drittgrößten Vermögens- Millionärsdichte ist, andererseits – und das ist unerträglich und nicht hinnehmbar - das Bundesland mit der größten Kinderarmut (1/3 aller Kinder).
Ein weiterer Ausdruck der Herrschaft des Neoliberalismus ist die Zunahme von Arbeitsdruck und Stress, von Zermürbung und Perspektivlosigkeit für eine zunehmende Zahl an Menschen. Dies hat u.a. eine drastische Zunahme von seelischen Erkrankungen zur Folge.
Wenn in den letzten Jahren die Nachfrage nach Sozialarbeiter*innen (und anderen Berufen im Reproduktionsbereich) gestiegen ist, dann vornehmlich um technizistisch funktionierende Mitarbeiter zur Linderung und Abfederung der aus gesellschaftlich erwachsenen sozialen und materiellen Problemlagen einzusetzen . Entsprechend den Anforderungen aus Globalisierung, weltweiten Kriegen zur Rohstoffsicherung und der daraus erwachsenen weltweiten Migrationsbewegung wurden und werden Fachkräfte zur Integration gebraucht. Und schließlich wurde der Kita-/Krippenbereich ausgebaut. Dieser Bereich und auch die Inklusion erfordern mehr Fach- und fortgebildetes Personal als bisher zur Verfügung steht bzw. zur Verfügung gestellt wird.
Wenn vor diesem Hintergrund Gesellschaft, Politik, Hochschule und Akteure der Sozialen Arbeit (AfSD, Träger., LAG) für eine Weiterentwicklung und Ausweitung des Studiengangs Soziale Arbeit plädieren, kann mich das als Lehrbeauftragter, jahrzehntelanger Praktiker und mit Sorge das gesellschaftliche Klima beobachtender Mensch nur erfreuen.
Ich bin dafür!
1. Womit beginnt das?
Mit der Verbesserung unserer bisherigen Arbeit in Lehre und Forschung sowie Einmischen in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um das Soziale!
Ich meine, dass auch folgendes Indiz dafür spricht:
Ich erlebe die Lehr- und Forschungsaktivitäten des Studiengangs Soziale Arbeit nicht als den großen „Burner“, von dem grundlegende Innovationen sowie die Bremer Gesellschaft bewegende Impulse ausgehen. Ein Zeichen hierfür ist auch die, nach meiner eingeschränkten Beobachtung, geringe Resonanz auf unsere ja wesentlich gute Arbeit in den Medien.
Aufgaben des Eingreifens und der Entwicklung der Sozialen Arbeit auch und gerade von Seiten des Studiengangs gäbe es genug: das gesellschaftlich schärfer und aggressiver werdende gesellschaftliche Klima, Migration, Geflüchtete, Arbeitsmarkt und Wohnungsnot, spröder werdender sozialer Zusammenhalt, uvm..
Die Lehrenden, Forschenden und Studierenden könnten wesentlich aktiver und „sichtbarer“, Deprivierung analysierend und „bremsend“, ach, was sage ich, bekämpfend agieren – und auch die gesellschaftlichen Ursachen, die dazu mit geführt haben, immer (selbst-)kritisch mit im Blick haben..
Es wäre wünschenswert, wenn sich der Studiengang Soziale Arbeit auch öffentlich stärker einmischt, wenn es um Zustand und Perspektive Sozialer Arbeit in Bremen geht.
Diese Notwendigkeit ist mir als ehrenamtlich jeden Montag acht Stunden in einer Kita Arbeitender sehr bitter aufgefallen während des Kita-Streiks, als bedeutsamste Auseinandersetzung um die Aufwertung von Sozialer und Reproduktions-Arbeit.
In der Hochschule war das leider kaum Thema, von der unterstützenden „Einmischung“ für die vielen streikenden Kolleg*innen ganz zu schweigen.
Ich würde es begrüßen, wenn der Studiengang Soziale Arbeit seine Partnerschaft mit dem Bremer Bündnis Soziale Arbeit mehr mit Leben füllen würde, neben der schon engagierten Mitarbeit einzelner.
Und schließlich gehört in diesen selbstkritischen, aber optimistischen Punkt auch die - Transparenz. Schon vor einem Jahr wäre dieses Hearing nötig gewesen, und dann auch öffentlich.
2. Aus den Bedarfen, die auf diesem Hearing angemeldet werden und die ich aus vielen Praxisstellen höre, ergibt sich als allererstes:
Wir brauchen deutlich mehr Bachelor-Studienplätze für Soziale Arbeit.
Ich kenne nicht die Feinheiten der Studienplatzanzahl und deren Finanzierung; aber
mehr reguläre Bachelor-Studienplätze scheint mir das Wichtigste.
Der Bedarf wird auch – aktuell – ersichtlich aus der Tatsache, dass nach meinem Kenntnisstand im Bereich UmF/Uma zum Teil nur noch 30% Fachkräfte tätig sind. Das spricht im Übrigen nicht gegen die 70 % die dort gute Arbeit leisten, aber es ist deutlich ersichtlich, dass es hier einen Riesenbedarf an Qualifizierung gibt, und eine Notwendigkeit der Qualifizierung z.B. über einen zusätzlichen berufsbegleitenden Bachelor.
3. Mit einem Konsekutiven Masterstudiengang, der schon lange vom Studiengang geplant ist, nein, nicht weil das Renommee der Professor*innen und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen steigt (was auch schön wäre), sondern weil es für die Studierenden ideal wäre, und fast wichtiger noch für Bremen.
Denn erstens möchten etliche Studierende noch den Master machen, und hätten auch das Zeug dazu, wie ich in meinen Modulen feststellen kann. Sie wollen wohl auch den sehr verschulten, sehr zeitintensiven Bachelor-Ablauf hinter sich bringen und wirklich frei und kreativ forschen, lernen, sich versuchen, tiefer vordringen. Das Ganze in Bremen. Denn dort und in der Region wohnen die meisten schon: Und das wäre auch familienfreundlich..
Aber vor allem, was für ein Vorteil für Bremen.
Wir würden höherqualifizierte Master-Absolventen haben (inkl. Promotionsmöglichkeiten), die sich in Bremen – zumindest besser als Auswärtige - auskennen und eben zunächst sich auch in Bremen bewerben.
Die sich auskennen in der Stadt, den Ämtern, der Trägerlandschaft.
Und dann mit hoher Qualifikation innovative Projekte starten, wissend um die sozialen Missstände aber auch guten, besten und die vielen Projekte und Akteure der Sozialen Arbeit in Bremen, wissend um Finanzierungsmöglichkeiten in Bremen, Bund, EU etc..
Da können dann – auch - Führungskräfte für die öffentliche Verwaltung herkommen, aber auch für die soziale Trägerlandschaft.
Bleibt die Frage, wie dieses anschließende Master-Studium konzipiert und ausgestattet ist (Forschungsbefähigung) – und ob es denn genügend Arbeitsplätze für Absolventen in der Region gibt.
4. Online-Studium
Da bin ich kein Fachmann; aber grundsätzlich handelt es sich in der Regel bei Online-Studiengängen um (wahrscheinlich falsch verstandene) Ökonomisierung von Ausbildung.
Und der – entscheidende – Stellenwert des gemeinsamen Lernens durch Begegnung geht da unter
Ansonsten: Ja, man muss mit den technisch-wissenschaftlichen Möglichkeiten (Produktivkräften) gehen; und es gibt viele Lernblöcke zur Vermittlung per online-Studium. Ich sehe aber Gefahren, dass nämlich das, was in der Sozialarbeit am drängendsten ist (abgesehen von dem notwendigen Wissen), nämlich Haltung ausprägen, Grundsätze der Menschenrechtsprofession nicht nur beherrschen, sondern auch praktizieren und leben, gesellschaftspolitische Kompetenz entwickeln, etc., dass all dies in den Hintergrund tritt bzw. ausbleibt. - Das sind keine Dinge, die man „online“ lernt, sondern durch Debatte, Begegnung, Diskurs, praktische Erprobung und Erleben, Einmischung, Reflektion etc.
6. Dualer Studiengang
Wie fange ich da an. Natürlich erst mal das Positive: Immer Freude, wenn der Senat statt Kürzungen vorzunehmen (de facto den öffentlichen Dienst abbauend) sich um Verbesserungen des Öffentlichen Dienstes Gedanken macht, langfristig Personalentwicklung und Gewinnung betreibt. Ich bin nämlich leidenschaftlicher Befürworter des öffentlichen Dienstes, statt seiner Ausgliederung und Privatisierung.
Gefreut hat mich deshalb auch, dass Studies auf einer Veranstaltung des Bremer Bündnisses Soziale Arbeit auf eine sehr scharfe Kritik am Studium positiv auf ihre Lernmöglichkeiten hinwiesen – wenn man sie denn nutzt.
Aber ich muss mitteilen, dass es zu dem geplanten dualen Studiengang die meisten, und auch strittigsten und emotionalsten Aussagen bei verschiedensten Befragungen gab.
Da wird sich Sorgen gemacht um die Freiheit von Forschung und Lehre.
Wer bestimmt denn nun („diktiert“ - !? -) über Inhalte, Formen, Zeiten und Zeitabläufe.
Gibt es die Gefahr des Kuschelns der Hochschule mit der sogenannten Praxis? Motto : Wir bilden so aus, wie die Praxis es braucht. So funktioniert es aber nicht, wenn man den Begriff akademisches Studium ernst nimmt. Studierende müssten lernen, Gesellschaft und Entwicklungsprozesse wie z.B. soziale Ausschließung zu analysieren. Und insbesondere die Rolle und Funktion sozialer Arbeit darin kritisch reflektieren. Und an Gegenmodellen und Interventionen usw. mit denken.
Thematisiert wurde von einigen die zunehmende Konkurrenz (Studies mit Gehalt/Geld und ohne Gehalt/Geld). Das ist nicht mein Hauptproblem. Denn das gibt es jetzt bereits – Kinder reicher Eltern und Kinder armer Eltern. Und Arbeiten neben dem Studium müssen sowieso die meisten Studies, und tun das auch in sozialen Arbeitsfeldern, wie die zukünftigen „Beamten auf Widerruf“.
Aber warum Beamte. Da wurde doch in den letzten 20 Jahren nix mehr verbeamtet im Jugendamt – recht so. Und jetzt soll das wieder eingeführt werden?
Mit neuen Konkurrenzen im Jugendamt etc. - hier Angestellte und jetzt einige Beamte darunter. Unverständlich.
Wenn das Amt Sorgen hat, Nachwuchs zu bekommen und zu behalten – dann sollten wir einfach
mehr Bachelor Sozialarbeiter ausbilden und
das Amt so attraktiv sein / werden,
dass sich die meisten Absolventen des Studiengangs Sozialer Arbeit dort bewerben. Das scheint mir das Kernthema für den Öffentlichen Dienst zu sein. Die Arbeitsbedingungen sollten sich deutlich verbessern; Wertschätzung! Finanzielle Höhergruppierung (zumindest analog Niedersachsen)! Entlastung bei den Fällen! Praxismentoren! (Zu den Arbeitsbedingungen könnte man einfach mal eine Umfrage bei der Hochschule in Auftrag geben oder wo auch immer. Und Personalrat und Gewerkschaften daran beteiligen). So können die Besten ausgesucht werden – und man „kauft nicht die Katze im Sack“, sondern beurteilt die Sozialarbeiter*innen nachdem sie sich in der Hochschule, Praxis-Semester und Anerkennungsjahr entwickelt haben.
Leider noch ein sehr kritischer Hinweis, der allerdings weniger aus dem Dunstkreis von Sozialem oder Wissenschaft kommt, sondern mehr aus dem Alltagsleben und Erleben von Bremer*innen: Dass der Duale Studiengang notwendig und wichtig ist, verwundert viele. Warum dafür viel Geld ausgeben im „Haushaltsnotlageland“?
Es melden sich doch Jahr für Jahr über 3.000 Studierende an der Hochschule, um Soziale Arbeit zu studieren. Wenn es also eine augenblickliche Sorge gibt, dass der Öffentliche Dienst nicht genügend gute Absolventen erhält (weil die sich ggf. lieber für einen freien Träger oder in Niedersachsen wegen mehr Geld entscheiden etc.) - dann bitte einfach mehr ausbilden und Studienplätze schaffen; und eben die Attraktivität der Arbeitsplätze im AfSD erhöhen.
Aus meiner Sicht birgt ein duales Studium die Gefahr, dass das kritisch-Politische, das einen zentralen Bestandteil Sozialer Arbeit ausmachen sollte, fast völlig verschwindet.
Das sollte sich weder die Hochschule noch der öffentlicher Dienst in Bremen leisten!
Denn wenn Verbesserungen der Sozialen Situation vieler Bremer*innen erreicht werden sollen (und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Studienbedingungen wie Raumsituation und Lehrbeauftragte), dann braucht es kritisch und eigenständig auftretende Studierende, Lehrende, Dekane,,...die auch einmal gegen aktuelle Entwicklungen Position beziehen, die sich auseinandersetzen, die auch Konflikte nicht scheuen.
Ggf. könnte ein Beirat aus Wissenschaft, Fachschaft sowie Praxis samt Personalrat und Gewerkschaften die aufgezeigten Sorgen abmildern.
Die Lage in Bremen erfordert vor allem eins: Gebündelte und solidarische Fokussierung auf die unsozialen Entwicklungen: in Gesellschaft und im Praxisfeld Sozialer Arbeit!
Wer nicht zuweilen zu viel empfindet, der empfindet immer zu wenig. Jean Paul (1763 – 1825)