Bremen könnte mehr tun
Joachim Barloschky vom Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen blickt auf die Arbeit von vier Jahren zurück
Joachim Barloschky ist einer der Gründer des Aktionsbündnisses. Mit dabei sind auch Obdachlose, Streetworker und Kirchenvertreter.Joachim Barloschky ist einer der Gründer des Aktionsbündnisses Menschenrecht auf Wohnen. Er war von 1990 bis 2011 Quartiersmanager in Tenever, inzwischen ist er in Rente. Der 64-Jährige ist stolz darauf, dass man es geschafft hat, Tenever ohne Gentrifizierung zu sanieren. Selbst lebt er mit seiner Frau in Bremen-Nord, seit vier Jahren arbeitet er ehrenamtlich in einem Kindergarten in Tenever.
Menschenrecht auf Wohnen
Das Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen bezieht sich auf Artikel 14 der Bremer Landesverfassung. Darin heißt es: „Jeder Bewohner der Freien Hansestadt Bremen hat Anspruch auf eine angemessene Wohnung. Es ist Aufgabe des Staates und der Gemeinden, die Verwirklichung dieses Anspruchs zu fördern.“
Wenn Sie Bausenator wären, was würden Sie dann machen?
Joachim Barloschky: Ich würde mich darum kümmern, dass die Stadt ihre Verantwortung für ein Menschenrecht wahrnimmt, und nicht nur privaten Bauleuten und Gesellschaften dabei behilflich ist, zu bauen. Dass die Stadt nicht an die Profite der Investoren denkt, sondern daran, dass es eine kommunale Aufgabe ist, bezahlbaren Wohnraum in dieser Stadt zu bauen und zu betreiben. Wir stoßen immer wieder auf den grundlegenden Widerspruch, dass Wohnen einerseits ein Menschenrecht ist, und auf der anderen Seite Wohnungen eine x-beliebige Ware sind, mit der man Rendite, Profit machen will. Die Stadt muss selber mehr Verantwortung übernehmen.
Übernimmt die Stadt bisher keine Verantwortung?
Sie tut jetzt einiges, nachdem wir unruhig geworden sind und es diesen objektiven Bedarf gibt. Aber Bremen könnte mehr tun. Bestimmte Anstrengungen wurden schon unternommen, das erkennen wir an. Aber wir als Aktionsbündnis fordern, dass zu dem, was schon gemacht wurde, sofort zusätzlich 5000 Wohnungen zu bezahlbaren Preisen gebaut werden. Wahrscheinlich braucht es sogar noch mehr.
Manche sagen, wenn in Bremen teure Wohnungen gebaut werden, dann hilft das auch denen, die weniger verdienen, weil ja andere Wohnungen frei werden, wenn Leute in die teuren Wohnungen ziehen.
Ah, der Sickereffekt! Ja, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Aber das ist ein Prozess, der Jahre dauert. Das funktioniert nicht so einfach, dass die Sehrgutverdiener in die teuren Wohnungen ziehen, die Gutverdiener in deren Wohnungen, die nächsten in die Wohnungen der Gutverdiener … ein bisschen hilft das natürlich. Aber insgesamt ist das zu wenig.
Die Stadt soll also mehr Sozialwohnungen bauen? Oder geht es auch um andere Preislagen?
Man muss insgesamt mehr Wohnungen bauen, die privaten Bauleute sollen auch gerne Luxusvillen oder Lofts errichten, aber das ist nicht das, was die Allgemeinheit in dieser Stadt braucht. Jeder hat ein Menschenrecht auf Wohnen, er muss bezahlbaren, angemessenen Wohnraum bekommen. Die Politik in den vergangenen Jahrzehnten hat den sozialen Wohnungsbaus quasi abgeschafft. Wir hatten in den 80er-Jahren 90 000 Sozialwohnungen in Bremen, heute sind es 7000.
Vor Kurzem hat der Senat ein drittes Wohnungsbauprogramm beschlossen.
Es ist auch ein Erfolg unserer Aktivitäten, dass der soziale Wohnungsbau wieder aufgelegt wurde. Aber wir müssen mehr da-rauf achten, dass das, was gebaut wird, und die Flächen, die dafür gebraucht werden, im städtischen Besitz bleiben. Das ist beim sozialen Wohnungsbau nicht der Fall. Da geht es um eine Art soziale Zwischennutzung. Investoren betrachten das als notwendiges Übel, und nach 20 Jahren können sie mit den Wohnungen machen, was sie wollen. Damit sind sie dem Sozialen, Gemeinnützigen entzogen.
Was wäre die Alternative?
Wir als Aktionsbündnis sind dafür, dass die Stadt selber Wohnungen baut, und zwar zu bezahlbaren Mietpreisen, das heißt zu 5,50 bis sechs Euro pro Quadratmeter. Dann wären die Wohnungen Besitz der Stadt, über den sie selbst entscheiden kann. Sonst entscheiden die privaten Eigentümer, und es besteht die Gefahr, dass die Öffentlichkeit keinen Einfluss mehr darauf nehmen kann. Wenn die Stadt nicht selbst baut, müsste sie die Gewoba stärken, das Unternehmen gehört ihr zu 75 Prozent. Die Stadt müsste dann mehr investieren und nicht nur die Gewinne der Gewoba für die Haushaltskasse nutzen.
Was war der Anlass, dass sich das Aktionsbündnis vor vier Jahren gegründet hat?
Es gab im Februar 2012 eine kleine Veranstaltung vom Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt. Es sollte darum gehen, wie man Obdachlosen helfen kann, eine Wohnung zu bekommen. Ich bin dort hingegangen, um meine Erfahrungen, die ich als Quartiersmanager in Tenever gemacht hatte, einzubringen. Und um zu hören, was der Bausenator sagt, denn der war geladen. Die Veranstaltung wurde eröffnet, aber der Bausenator war nicht gekommen und auch seine Referentin nicht. Wir diskutierten trotzdem über das Thema. Und wir dachten: Das lassen wir uns nicht bieten, wir gründen ein Aktionsbündnis. Wir waren zehn Leute zu Beginn und wollten das mal ein Jahr lang machen.
Wie waren die ersten Reaktionen?
Als wir vor vier Jahren von Wohnungsnot sprachen, haben viele an die Obdachlosen gedacht. Sie haben nicht gesehen, dass das eine größere Geschichte ist. Dass wir eine Wohnungsnot haben, die Hunderttausende Menschen in Bremen betrifft.
Inwiefern?
Die meisten in der Stadt sind Mieter, und die Wohnungsunternehmen nutzen es aus, dass es zu wenig Wohnungen gibt. Sie verlangen immer mehr Miete, steigern die Profite, suchen sich die Mieter aus, die sie wollen. Es gibt Familien, die leben zu neunt in einer Dreieinhalb-Zimmer-Wohnung. Das kenne ich aus Tenever, da werden die Matratzen tagsüber an die Wand gestellt, damit die Kinder spielen können, und abends wieder ausgelegt, damit sie dort schlafen können. Immer wieder hören wir von jungen Paaren, die eine Familie gründen wollen und keine bezahlbare Wohnung finden. Und weil es zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt, gibt es Diskriminierung. Alleinerziehende mit Kindern spüren das, und Menschen werden wegen ihrer Hautfarbe oder ihres Nachnamens diskriminiert. Zu einem Besichtigungstermin kommen 40 Leute, und wer eine schlechte Ausgangsposition hat wie ein niedriges Einkommen oder einen Schufa-Eintrag, der bekommt die Wohnung dann meistens nicht.
Was haben Sie in den vier Jahren erreicht?
Wir haben es geschafft, dass das Thema Wohnungsnot in dieser Stadt die Öffentlichkeit so beschäftigt, dass die Politik in die Hufe gekommen ist. Das Budget für sozialen Wohnungsbau wurde von vier Millionen Euro auf 40 Millionen Euro erhöht, und das in einem Haushaltsnotlageland. Das ist ein echter politischer Erfolg gewesen. Ein anderer Erfolg war zum Beispiel, dass die Brebau in Findorff ihre Mieterhöhung von 20 Prozent zurückgenommen hat, weil Aktionsbündnis, Beirat und Mieter Rabatz gemacht haben. Sie haben dann nur um acht Prozent erhöht.
Manche Obdachlosen sagen, jahrelang ist nichts passiert. Erst jetzt, wo die vielen Flüchtlinge da sind, wird gebaut.
Wohnen ist ein internationales Menschenrecht, alle brauchen eine Wohnung: die Geflüchteten und die Menschen in unserer Stadt, deshalb kämpfen wir gemeinsam mit dem Bündnis Refugees welcome. Bei uns im Aktionsbündnis sind auch Flüchtlinge und Migranten. Wir stellen die gemeinsamen Interessen in den Mittelpunkt.
Was sagen Sie einem Obdachlosen, der fragt: Warum passiert jetzt erst was?
Es ist nicht so, dass früher gar nichts passiert ist. Es gibt Vereinbarungen, dass sowohl Obdachlose als auch Flüchtlinge Wohnungen bekommen sollen. Das Problem ist, dass das nicht ausreicht. Deshalb brauchen wir ein größeres Wohnungsbauprogramm und müssen Leerstände nutzen.
Viele Schlichtwohnungen, die für Obdachlose gedacht waren, stehen leer. Ist das noch ein Modell für die Zukunft?
Die Wohnungen stehen leer, weil man in manchen gar nicht mehr wohnen kann, und wegen der aktiven Entmietungspolitik der früheren Deutschen Annington, heute Vonovia. Die haben dort ganz andere Pläne. Unsere Arbeitsgruppe „Einfach wohnen“ wird demnächst Vorschläge für die Schlichtwohnungen machen. Wir wollen nicht alle erhalten, aber wir wollen, dass Schluss ist mit der Entmietungspolitik. Es muss eine einfache Instandsetzung geben, die Leute brauchen ein Bad, warmes Wasser, eine funktionierende Heizung, und das Fenster darf nicht rausfallen.
Das Aktionsbündnis wollte ursprünglich ein Jahr lang tätig sein. Nun gibt es das Bündnis nach vier Jahren immer noch.
Leider brauchen wir in Bremen so ein Aktionsbündnis noch. Als soziales Gewissen und als Drängler. Wir sind diejenigen, die Druck machen.
Das Interview führte Kathrin Aldenhoff
Bremen.Am heutigen Sonnabend lädt das Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen zu einem Fachtag ein. Er beginnt um 10 Uhr im Forum Kirche an der Hollerallee 75 und dauert bis 15 Uhr. Mitglieder des Bündnisses, Experten und Gäste wollen über die Arbeit der vergangenen vier Jahre sprechen und darüber, wie die Aktivitäten für bezahlbaren Wohnraum noch verstärkt werden können. Außerdem soll es um die Erfahrungen mit dem Wohnungsunternehmen Vonovia, früher Deutsche Annington, gehen. Es referieren Volker Busch-Geertsema von der Gesellschaft für Innovative Sozialplanung und Holger Gautzsch vom Verein Mieter helfen Mietern.
Für Dienstag, 9. Februar, lädt der Lions Club Bremen Cosmopolitan zu einem Diskussionsabend in den Europapunkt, Am Markt 20, ein. Ab 18 bis etwa 20 Uhr werden Joachim Barloschky, Bianca Urban vom Senator für Umwelt, Bau und Verkehr, Thomas Scherbaum von der Gewoba und Robert Bücking, baupolitischer Sprecher der Grünen, über die Frage diskutieren, ob Bremen eine Wohnungskrise droht. Es soll um Konzepte und Strategien gehen, mit denen die Stadt das Bevölkerungswachstum bewältigen kann. Moderiert wird der Abend von Libuse Cerna, Vorsitzende des Bremer Rats für Integration und Mitglied des Lions Clubs Bremen Cosmopolitan.
KAA
Weser-Kurier 06.02.2016