Droht Bremen eine Wohnungskrise?
VON SIGRID SCHUER Weser-Kurier 10.02.2016
Bremen.„Droht Bremen eine Wohnungskrise?“ – darüber zu diskutieren hatten der Lions Club Bremen Cosmopolitan und der Bremer Rat für Integration in den Europapunkt eingeladen. Für Thomas Scherbaum, den Prokuristen und Hauptabteilungsleiter Immobiliendienstleistungen bei der Gewoba, war die Antwort nach einer halben Stunde Debatte klar: „In einer Nanosekunde alles richtig zu machen, das ist Hexenwerk.“Scherbaum zielte damit auf die Herausforderung, über die soziale Mischung von Wohneinheiten zu einer gelingenden Integration beizutragen.
Außer Scherbaum erörterten Bianca Urban, Abteilungsleiterin für Regional- und Stadtentwicklung und Wohnungswesen beim Bau-Ressort, Joachim Barloschky, Gründer des Bündnisses „Menschenrecht auf Wohnen“ und Robert Bücking, baupolitischer Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Konzepte und Strategien der Stadt zur Bewältigung des Bevölkerungswachstums.
Barloschky machte schon in seinem Eingangs-Statement klar, dass die Wohnungskrise in Bremen, von der der Bausenator vor vier Jahren noch nichts wissen wollte, längst ein Faktum sei. Und zwar nicht erst, seitdem im vergangenen Jahr 11 000 Geflüchtete in die Hansestadt gekommen sind. Der langjährige Quartiersmanager in Tenever hat einen Grund für die Wohnungskrise ausgemacht: „Noch in den 80er-Jahren gab es 90 000 sozial geförderte Wohnungen in Bremen. Mittlerweile sind es nur noch 9 000, Tendenz sinkend“, monierte er. Gegen Ende der Legislaturperiode werden es gerade mal 7 000 sozial geförderte Wohnungen sein, bestätigte Bianca Urban. Nach 30 bis 40 Jahren sei die öffentliche Förderung ausgelaufen.
Auf dem Wohnungsmarkt gebe es indes immer mehr Menschen, die um bezahlbaren Wohnraum konkurrierten und die keinesfalls gegeneinander ausgespielt werden dürften: Hartz IV-Empfänger, Aufstocker, Obdachlose und Geflüchtete, so Barloschky. Aber eben auch Studierende und Singles, ergänzte Bianca Urban. „Das Grundrecht auf wohnen ist ein Menschenrecht“, betonte Barloschky. Vorbei die Zeiten, als beispielsweise in Osterholz-Tenever mit dem Argument des demografischen Wandels im großen Stil Wohnungen abgerissen wurden. Wohnungen, die Bremen laut Barloschky jetzt dringend gebrauchen könnte. Der Neubau von Wohnungen ist zeit- und kostenintensiv. Die Gewoba gehe mit gutem Beispiel voran – auch hinsichtlich der moderaten Mietpreise, während andere Wohnungsbaugesellschaften, wie die Brebau, die Mieten erhöhten.
„25 000 Menschen pro Jahr kommen nach Bremen, 27 000 Menschen ziehen wieder weg, dazu kommen die Umzüge innerhalb Bremens. Das bewirkt, dass sich der Markt ständig neu ausbalanciert und die Mieten automatisch steigen“, bilanzierte Bücking. Laut Scherbaum liegt die durchschnittliche Kaltmiete bei der Gewoba zwischen 5,50 und sechs Euro pro Quadratmeter. Er betonte aber auch: „Der Bau preiswerter Wohnungen muss finanzierbar sein!“ Inzwischen habe die Gewoba elf Dolmetscher eingestellt, um mit ihren neuen Mietern besser kommunizieren zu können. „Wir haben in der zweiten Jahreshälfte 2014 über 600 Wohnungen an Flüchtlinge vermietet. Wir vermieten auch an Obdachlose“, so Scherbaum. Derzeit baue die Gewoba 1 400 Wohnungen, weitere 1000 seien zusätzlich vom Senat gewünscht.
Das Ziel seien 1 400 Wohnungen pro Jahr. Bianca Urban betonte, dass der Senat seit 2010 sein Wohnungsbauförderungs-Programm von vier Millionen auf 40 Millionen Euro verzehnfacht habe: „Damit wird gerade der Bau von 700 Wohnungen gefördert. Bauen hat in Bremen Priorität. Wir wollen die Zahl der mietpreisgebundenen Wohnungen unbedingt erhöhen.“ Derzeit habe das Land ein Sofortprogramm zum Bau von 2 000 Wohnungen aufgelegt. 3 500 weitere sollen bis 2017 folgen. Urban bezweifelte jedoch selbst, dass Realisierung schnell vonstatten gehen kann: „Im öffentlichen Dienst sind jahrelang Personalressourcen ’optimiert’, man könnte auch sagen: eingestampft worden.“ Das räche sich jetzt unter anderem bei den Bearbeitungszeiten. Zudem könne niemand prognostizieren, wie viele Geflüchtete in welchem Zeitraum kommen, sagte Robert Bücking: „Momentan fahren wir auf Sicht. Wir müssen aber jetzt existenzielle Entscheidungen von großer Tragweite treffen. Manches wird uns gelingen, manches auch nicht!“