Ich bin auch für radikalere Maßnahmen offen
Die "Zeitschrift der Straße" interviewte Joachim Barloschky.
Das Interview führten Jan Zier & Philipp Jarke.
Reihersiedlung – Ein Gespräch über Schlichtwohnungen, Hausbesetzungen und die Ohnmacht der Bremer Politik – mit Joachim Barloschky vom Aktionsbündnis „Menschenrecht auf Wohnen“.
Zeitschrift der Straße: Brauchen wir mehr Schlichtwohnungen in Bremen?
Joachim Barloschky: Gegenwärtig sieht es so aus, also ob wir bald gar keine mehr haben.
Eben!
Unser Aktionsbündnis tritt dafür ein, dass es mehr bezahlbaren Wohnraum in der Stadt gibt. Der muss natürlich einen ordentlichen Standard haben und gewisse ökologische Kriterien erfüllen. Dafür kämpfen wir.
Die Menschen in den Schlichtbausiedlungen sind oft mit wenig zufrieden.
Ich wurde neulich von einem Freund angegriffen: Barlo, bist du jetzt auch noch einer, der sich für die Scheiß-Wohnungen einsetzt? Nein. Aber im Gegensatz zur Vonovia haben wir mit den Bewohnern geredet, während die Politiker nur mit der Vonovia geredet haben. Die Bewohner wollen bleiben, eine einfache Sanierung und Mitbestimmung.
Was würde das konkret heißen?
Es müsste dort zumindest Warmwasser und eine Heizung geben. Das kann man machen. Das haben ja die Bewohner in der Holsteiner Straße in Walle alles selbst organisiert. Die haben richtige Investitionen getätigt! Das ist sehr beeindruckend.
Die rot-grüne Landesregierung verweist lieber auf neue Sozialwohnungen.
Das ist ja auch ein Erfolg, der auch auf unseren Druck zustande kam. Aber die ruhen sich darauf aus! Aber aus der Sicht der Wohnungsunternehmen ist das nur eine soziale Zwischennutzung. Jetzt müssen sie sich 20 Jahre zu einer bestimmten Miete verpflichten. Danach ist das gesamte Eigentum ohne Auflagen in der Hand von privaten Rendite-Interessen. Wenn man schaut, wo die neuen Wohnungen gebaut werden, dann sind das in der Regel gute Wohnlagen. Dort bauen sie in einer Qualität, die sie später am Markt auch wesentlich teurer loswerden.
Neue Sozialwohnungen reichen also nicht aus. Welche andere Lösungen siehst du?
Was die Schlichtwohnungen betrifft, hätte die Stadt auch sagen können: Das wird erst einmal gekauft oder für zehn Jahre gepachtet. Die Gewoba wird da nicht viel dran verdienen, aber sie könnte mit Mieter-Mitbestimmung und leichten Verbesserungen Einfachwohnen erhalten – für Menschen, die ganz wenig Geld haben. Das wären in der Holsteiner Straße vielleicht 40 und am Sacksdamm noch mal 30 bis 40 Wohnungen. Das Grundproblem ist: Es wird immer argumentiert, die Siedlungen stünden ja völlig leer, die Leute wollten da ja gar nicht hin. Das ist doch lächerlich!
Warum?
Das ganze Thema ist ein Beleg für die verfehlte Wohnungspolitik in Bremen. Die Bremische wurde von Bremen verscherbelt an Finanzinvestoren, dort wurden sie von einem zum nächsten
weitergereicht. Die haben alle eine aktive Entmietungspolitik betrieben. Die haben gesagt: Wir lassen niemanden mehr einziehen. Dabei haben die Leute Schlange gestanden!
Rund 500 Menschen in Bremen haben gar keine Wohnung.
Es geht nicht darum, zu sagen: Schlichtwohnungen sind per se für Obdachlose. Das ist Blödsinn. Auch Obdachlose wollen eine normale Wohnung. Für einige aber sind die Schlichtquartiere eine bessere Möglichkeit.
Warum?
Der Unterschied ist: Dort ist alles schön verteilt. Da hat jeder seine Wohnung und seinen eigenen Außenbereich, auch für all die Hunde. Das ist das Geile! Natürlich wird es auch da Stress geben – aber das kommt auch in Oberneuland vor. In den Schlichtbausiedlungen kann man das nachbarschaftlich regeln.
Das ist ein politisches Schlagwort: „Die sind nicht geschosswohnungsfähig“. Ist es erstrebenswert, dass alle in gestapelten Hamsterkäfigen wohnen?
Ich habe ja positive Erfahrungen mit Hochhaussiedlungen gemacht. Aber das ist schon speziell, denn was will der Deutsche? Ein eigenes Haus, einen Garten drumherum und einen Zaun. Das ist sehr unökologisch und würde ganz Deutschland zersiedeln. Verdichtetes Bauen muss schon sein. Was sie damals in Tenever gemacht hatten, ist eine städtebauliche Sünde. Aber es gibt auch bessere Formen des verdichteten Bauens. Das Schwärmen für die Natur kommt, wie Bertolt Brecht sagte, von der Unwirtlichkeit der Städte – deshalb sollte man die Städte wirtlicher machen.
Aber kann es das Ziel sein, dass die Leute aus den Schlichtbauten in der Grohner Düne untergebracht werden können?
Es geht nicht ums Unterbringen, es geht darum, dass Menschen eine bezahlbare Wohnung haben. Und damit ihr Recht auf Selbstentfaltung halbwegs verwirklichen können.
In den Schlichtbauten können arme Leute wohnen, ohne zum Amt zu müssen.
Richtig. Die sagen: Anderswo arbeiten wir für die Miete, und am Ende des Monats gehen wir zum Jobcenter, weil es nicht reicht, um die Kinder durchzubringen. Davor haben sie einen Horror – was ich nachvollziehen kann.
Wo sollen die Menschen hin, wenn die Schlichtbauten abgerissen werden?
Die meisten haben ja einen Mietvertrag mit der Vonovia. Und die wird ihnen Angebote machen müssen. Neulich hat Adem Hacikerimoglu aus der Holsteiner Straße gesagt: Seine Familie umfasst acht Personen, in Walle zahlen sie ungefähr 560 Euro warm. Der hat Angebote für andere Wohnungen bekommen, die alle über 1.000 Euro lagen, eines sogar bei 1.400 Euro. Wovon soll er das bezahlen? Er arbeitet 30 Stunden pro Woche als Erzieher in Huchting. Sie wissen, es ist nicht alles schön in der Holsteiner Straße, aber sie haben es sich schön gemacht. Und sie haben den Zusammenhalt dort. Das ist ganz wichtig.
Wo soll bezahlbarer Wohnraum herkommen, wenn neue Sozialwohnungen mindestens 6,10 Euro pro Quadratmeter kosten?
Die rot-grüne Politik gibt sich ohnmächtig gegenüber der Macht der Wohnungsunternehmen. Ich verstehe nicht, warum sie da nicht mehr Selbstbewusstsein haben! Unser Vorschlag: Sie bauen 5.000 Wohnungen, in kommunaler Aufsicht, mit Mieten, die bezahlbar für Arbeitnehmer sind und auch Hartz-IV-kompatibel. Damit würde man einen Beitrag zur Entspannung auf dem Wohnungsmarkt leisten und hätte Hunderttausenden geholfen – die Mietpreisexplosion betrifft ja alle MieterInnen. Aber Bremen folgt der neoliberalen Marktlogik: Der Markt wird es schon richten.
Er richtet es auch, nur anders, als man sich das wünscht.
Ja, er richtet! Aber sie haben es selbst herbeigeführt. Sie haben den sozialen Wohnungsbau auf null reduziert, das Gemeinnützigkeitsgesetz abgeschafft, das früher die Profitabilität gedrückt hatte: Vier Prozent Rendite durfte man machen, mehr nicht. Die ganze Baupolitik war nur am Markt orientiert. Dafür haben sie das gesamte Tafelsilber verscherbelt. Das ist die größte Katastrophe!
Wovon sollen die 5.000 Wohnungen bezahlt werden?
Eine Vermögensabgabe von einem Prozent für die 10.000 Bremer Vermögensmillionäre, und
wir hätten 300 Millionen Euro zur Hand. Pro Jahr.
Rot-Grün sagt: Ja, das mit der Privatisierung ist blöd gelaufen damals. Aber jetzt können wir da nichts mehr machen.
Die Selbstkritik ist schon mal gut, aber zu sagen: „Wir können nichts tun“, ist ganz schlecht – das ist eine Ohnmachtsäußerung. Man muss als Politiker das Volk ermutigen, zu kämpfen! Und nicht die Argumente der Vonovia auch noch nachplappern!
Die argumentiert: Das muss sich rechnen!
Die Politik könnte sagen: Das ist eine soziale Notwendigkeit! Andere Dinge rechnen sich betriebswirtschaftlich ja auch nicht, Schulbauten etwa.
Der grüne Bausenator würde jetzt sagen: „Wir sind auf einem guten Weg.“
Lieber Herr Bausenator, es ist durchaus anzuerkennen, dass Bremen aus seinen Fehlern einen Millimeter gelernt hat. Allerdings muss ich Ihnen sagen: Wenn es städtischen Besitz an Wohnungen gäbe, hätte man einen viel größeren Einfluss – heute, aber auch noch in 20 Jahren. Nur noch 30 Prozent von Bremens Fläche gehören der Stadt. Das ist für die Demokratie nicht gut. Bis Ende 2017 werden nur 517 Sozialwohnungen fertig. Seit 2012 hätten aber 1.700 Sozialwohnungen gebaut werden müssen. Das ist total peinlich. Wir brauchen eine grundlegende Änderung der Wohnungspolitik! Und vielleicht müssen andere, neue Formen des Kampfes kommen.
Hausbesetzungen?
Ich habe nichts gegen Besetzungen. Weil sie deutlich machen, dass es ein Widersinn ist, dass es Leerstände gibt, weil Eigentümer warten, das Objekt besser vermarkten zu können. Die Vonovia fängt jetzt an – auch aufgrund des öffentlichen Drucks – den Bewohnern dort Mietangebote zu machen, die gut sind. Eine Familie hat eine Wohnung bekommen, die sonst 750 Euro kostet. Sie zahlen 500 Euro, für fünf Jahre festgeschrieben. Dieser Familie werde ich nicht sagen: Nein, die dürft ihr nicht nehmen, aus Solidarität!
Die Menschen in den Schlichtbauten haben keine Lobby.
Es ist ein Grundproblem der Grünen und auch der autonomen Szene, dass ihre wichtigen Themen sich am gesellschaftlichen Bewusstsein orientieren, an der sozialen Frage aber ganz selten. Das ist auch das Problem mit der AfD. Sie ist ein Ausdruck des Alltagsrassismus in Deutschland. Aber sie stellen sich ja, obwohl sie das nicht erfüllen, auch als sozial dar. Deswegen bin ich dafür, dass man mehr radikale Auseinandersetzungen zur sozialen Frage führt, aber mit fortschrittlichen Positionen besetzt.
Manche Leute finden: In Bremen wird auf hohem Niveau gejammert.
Es stimmt, dass es auf den Wohnungsmarkt in anderen Städten noch schwieriger ist. Es gibt hier 500 bis 700 Leute, die die unter erbärmlichsten Bedingungen leben müssen. Aber es sind Tausende, die keine eigene Wohnung haben und stattdessen bei Verwandten oder Freunden unterkommen, Tausende, die mit ihren Wohnverhältnissen nicht zufrieden sind. Wenn wir nicht für mehr bezahlbaren Wohnraum sorgen, werden wir jeden Tag mehr Tränen und Sorgen von Leuten erleben, die verzweifeln. Ich wünsche mir, dass mehr Leute Widerstandsgeist haben. Dann bin ich auch für radikalere Maßnahmen offen. Mein Lebensmotto ist: Es ist die Pflicht eines jeden Revolutionärs, die Revolution zu machen.
Aber was können die bürgerlichen Leser tun, die wir auch haben?
Widerstand heißt heute, dass man sich gegen die Rechten wehrt, gegen Mieterhöhungen, und sich für einen humaneren Umgang mit Flüchtlingen einsetzt. Das ist eine tägliche humanistische Aufgabe für jeden Bürger. Es ist systembedingt, dass der Profit vor allen anderen Dingen rangiert, die für jeden wichtig sind: Wohnen, Menschenrechte, Gesundheit, Bildung. Acht Leute besitzen heute so viel wie die Hälfte der Weltbevölkerung. Welche Lösung gibt es da? 500.000 Euro im Jahr, das reicht. Alles andere muss man wegbesteuern. Da bin ich Marxist geblieben, mein Leben lang.
Interview: Jan Zier & Philipp Jarke
Foto: Jan Zier