Die Stadt muss allen gehören“ Demo und Abschluss

Kundgebung in Bremen am 23.03.2019 Rede Joachim Barloschky, Sprecher Aktionsbündnis Menschenrecht auf Wohnen

Toll, wir sind so VIELE – und dabei geht es „nur“ um Vier ?

Nämlich um

4 Wände (von Rio Reiser)
4 Wände, meine 4 Wände, ich brauch meine 4 Wände für mich.
Die mich schützen vor Regen und Wind,
wo ich nur sein muß, wie ich wirklich bin.

 

 

4 Wände, meine 4 Wände, ich brauch meine 4 Wände für mich.
Eine Wand für mein Klavier, eine Wand für ein Bild von dir,
eine Wand für eine Tür, sonst kommst Du ja nicht zu mir.
4 Wände, meine 4 Wände, ich brauch meine 4 Wände für mich.
Eine Wand für ein Bett, nicht zu klein, eine Wand für den Tisch mit dem Wein,
eine Wand für den Sonnenschein, denn bei mir soll's nicht dunkel sein.
4 Wände, meine 4 Wände, ich brauch meine 4 Wände für mich.

Als sich unser Aktionsbündnis vor genau 7 Jahren gründete, gab es 200 Obdachlose, die Platte
machten. Heute sind es ca. 500.
Ganz zu schweigen von den Tausenden, die wohnungslos sind. Die unterschlüpfen bei Verwandten,
Freunden,auch Sofa-Hopper genannt.
Unser Land und unsere Stadt sind so reich, aber nicht in der Lage jeder/m zum Menschenrecht auf
Wohnen zu verhelfen. Bitter! Und peinlich.
Ja, es gibt Tendenzen die Wohnungsnot zu leugnen und in der „Kommerz-Zone Innenstadt und
Bahnhof“ die Menschen in Not unsichtbar zu machen durch Verdrängung und Vertreibung.
Das lehnen wir ab.
Sie sind auch Bürger*innen unserer Stadt mit Anspruch auf Würde und Wohnungen.

Aber die „Wohnungsnot“ trifft sehr viel mehr Menschen in unserer Stadt, ja es trifft
Hunderttausende, denn über die Hälfte der Bremer Bevölkerung wohnen zur Miete.
Und die erleben die Mietenerhöhungs-Ralleye. Die Mieten rennen davon. In den letzten Jahren weit
höher als die Inflationsrate (über 4% jedes Jahr seit 2012; in 2017 sogar über 7,4% in Bremen; und
bundesweit um 4 ,5%). Denn die Wohnungsnot wird gnadenlos ausgenutzt.

Ja, wir sprechen vom „Mietenwahnsinn“ - zugegeben eine sehr drastische Formulierung.
Aber aus der Sicht der Betroffenen, die jetzt eine neue Wohnung brauchen /suchen (also Menschen,
die ein Paar werden wollen, eine Familie gründen wollen, aber auch eben die, die sich trennen,
Menschen die in Notunterkünften und Geflüchtete in Übergangsheimen wohnen, Rentner*innen
angesichts der zunehmenden Altersarmut, Menschen die in Schimmel-Wohnungen leben, Familien,
die in zu kleinen Wohnungen klarkommen müssen, die Eigenbedarfskündigung erhalten und und...)
ist es ein existenzielles Drama, das zur Verzweiflung führt Und das demütigt - als Bittsteller in der
großen Warteschlange zu stehen für bezahlbare Wohnungen - und keine/kaum Chance zu haben.
Die Wissenschaft sagt: 27-30% des Haushaltsnettoeinkommens können für Wohnkosten
ausgegeben werden.

In Bremen gibt fast jeder zweite Haushalt (48%) mehr als 30 % für Wohnkosten aus.
Und die Geringverdiener*innen und Hartz IV etc. - Bezieher*innen oder Sub-, Sub-
Unternehmer*innen geben über 40 % ihres Nettoeinkommens für Wohnen aus. Skandal!

Zumal der Regelsatz von 424 Euro im Monat eh bei weitem nicht ausreicht um am
gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben. Nach Berechnungen des Paritätischen, der
auch zur Demo für das heute eingeladen hat, müssten es mindestens 571 Euro sein!

Und Das Bremer Jobcenter zahlt pro Bedarfsgemeinschaft im Schnitt monatlich 518,79 Euro Unterkunftskosten,
bescheinigt aber tatsächliche Kosten in Höhe von 526,47 Euro. In Bremerhaven ist die Lücke sogar noch größer: Die
tatsächlichen Kosten liegen dort im Schnitt bei 448,95 Euro, übernommen werden aber nur 436,00 Euro.
Vom ihrer schon nicht ausreichenden Grundsicherung (424 €) müssen die Bezieher*innen dann auch noch zusätzlich was für Wohnen abknapsen
(und dass für manchmal katastrophale Wohnverhältnisse).
Was bleibt?: Nicht umziehen!
Denn bei jedem Neubezug wird ordentlich draufgelegt bei der Miete und abgesahnt.
Nein, besser ist es sich zu engagieren und die Lage zu ändern.
Gemeinsam ist man stärker als alleine! So wie wir heute! Und das heute ist erst der Auftakt.

Wir fordern:

  • Stopp der Mietpreistreiberei. Oder: Hopp! Hopp! Hopp! - Mietpreisstopp!
  • Keine Verdrängung von Wohnungslosen und Mieter*innen durch Mietpreise und
    Luxusmodernisierung!

  • Förderung neuer Genossenschaften!!
  • Mehr sozialer Wohnungsbau mit Mietpreisdeckelung – aber nicht für nur 20 Jahre! Sondern
    dauerhaft! (für die Renditejäger sind zwanzig Jahre nur eine „soziale Zwischennutzung“ -
    dann können sie schalten und walten und Mieten erhöhen wie sie wollen)

  • Leerstand ggf. beschlagnahmen und für Wohnzwecke herrichten!
  • Kein Verkauf städtischer Flächen – Erbbaurecht statt Privatisierung!
  • Stadtentwicklung nicht dem Rendite-Prinzip und den Investoren überlassen!
  • Keine Gas-Wasser-Stromsperren mehr! Das ist unmenschlich. Keine Zwangsräumungen
  • 250 Einfach-Wohnungen sofort durch Bau oder Kauf durch die Stadt für die Wohnungslosen
    Und auch mehr Streetworker*innen für die Wohnungslosenhilfe! Wir brauchen mehr Jonas,
    Harald und Alenka!

  • Und noch ein persönlicher Vorschlag: Abrüsten statt Aufrüsten. Das Geld wird für
    bezahlbaren Wohnungsbau und soziale und ökologische Entwicklung gebraucht!

Einige vermuten/meinen wir gehen den Weg zur „Generalabrechnung mit den herrschenden Zuständen und
schäumenden Systemkritik“.
Ja, das bleibt nicht aus – denn die Sache hat System; hat was mit Kapitalismus und Neoliberalismus
zu tun. Der Markt soll es richten. Und der richtet.

Unsere Erfahrung: Wohnen ist ein Menschenrecht – aber zugleich eine Ware. Und mit der soll
(Maximal)Profit gemacht werden.

Denn die Wohnungsnot ist nicht vom Himmel gefallen – sie wurde und wird gesellschaftlich und politisch
gemacht.
Das Gemeinnützigkeit-Gesetz wurde abgeschafft
Der Soziale Wohnungsbau auf null gesetzt. (Anfang der 80er Jahre gab es noch 90.000 Sozialwohnungen;
heute nur noch 8.000 im Lande Bremen)
Die Bremische und Beamtenbau wurden verscherbelt und gehören heute dem Rendite-Jäger Vonovia und
sind damit der öffentlichen Kontrolle entzogen.

„Ja, aber wir haben ja noch die Gewoba behalten“. Ja, aber nur weil die Mieterinnen aus der Vahr, aus
Tenever, Gröpelingen, Kattenturm, Huchting, Lüssum und Marßel, Walle eine große Bewegung gestartet
hatten. (Volksbegehren, Unterschriftensammlung)
Und muss die Gewoba 18 % Eigenkapitalrendite zahlen? Davon könnte man gut Belegungsbindungen
kaufen, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern.

Und wir fordern Mieterräte und Mieter-Mitbestimmung in den Aufsichtsräten/-Gremien.
Unser Druck – heute mit einer bunten, lautstarken und kulturvollen Demo von 1.500-1.800
Teilnehmenden kann was bewirken und allein die Ankündigung der Demo hat auch schon was
bewirkt: Die Parteien überschlagen sich von „Mietenwahnsinn“ zu sprechen und versprechen, dass
es jetzt aber wirklich mal besser werden soll.
Ich befürchte, dass wir weiter Druck machen müssen für bezahlbaren Wohnraum auf Dauer! Für
alle! Wohnungslose und Geflüchtete nicht gegeneinander ausspielen.
Mieter*innen zusammenhalten! Sich wehren! Aktiv werden im und mit dem Netzwerk im
Quartier und den Mieterorganisationen. 4 Wände für alle!
Die Stadt muss allen gehören - nicht nur Zech, Jacobs, Vonovia, Grand City Property und Co.

3
Was sind schon Städte, gebaut / Ohne die Weisheit des Volkes? Bertolt Brecht
Goethe über Zwangsräumungen


MEPHISTOPHELES und DIE DREI (unten);
Da kommen wir mit vollem Trab;
Verzeiht! Es ging nicht göttlich ab.
Wir klopften an, wir pochten an,
Und immer ward nicht aufgetan;
Wir rüttelten, wir pochten fort,3
Da lag die morsche Türe dort;
Wir riefen laut und drohten schwer,
Allein wir fanden kein Gehör.
Und wie‘s in solchem Fall geschieht:
Sie hörten nicht, sie wollten nicht;
Wir aber haben nicht gesäumt,
Behende Dir sie weggeräumt.
Das Paar hat sich nicht viel gequält,
Vor Schrecken fielen sie entseelt.
Ein Fremder, der sich dort versteckt
Und fechten wollte, ward gestreckt.
In wilden Kampfes kurzer Zeit
von Kohlen, ringsumher gestreut,
Entflammte Stroh. Nun lodert’s frei,
Als Scheiterhaufen dieser drei.


J. W. Goethe, aus Faust II


Die sogenannte Wohnungsnot, die heutzutage in der Presse eine so große Rolle spielt, besteht
nicht darin, daß die Arbeiterklasse überhaupt in schlechten, überfüllten, ungesunden
Wohnungen lebt. Diese Wohnungsnot ist nicht etwas der Gegenwart Eigentümliches; sie ist
nicht einmal eins der Leiden, die dem modernen Proletariat, gegenüber allen frühern
unterdrückten Klassen, eigentümlich sind; im Gegenteil, sie hat alle unterdrückten Klassen
aller Zeiten ziemlich gleichmäßig betroffen. Um dieser Wohnungsnot ein Ende zu machen, gibt
es nur ein Mittel. die Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Klasse durch die
herrschende Klasse überhaupt zu beseitigen. Was man heute unter Wohnungsnot versteht,
ist die eigentümliche Verschärfung, die die schlechten Wohnungsverhältnisse der
Arbeiter durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten
erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietspreise; eine noch verstärkte
Zusammendrängung der Bewohner in den einzelnen Häusern, für einige die Unmöglichkeit,
überhaupt ein Unterkommen zu finden. Und diese Wohnungsnot macht nur soviel von sich
reden, weil sie sich nicht auf die Arbeiterklasse beschränkt, sondern auch das
Kleinbürgertum mit betroffen hat. (Hervorhebungen von barlo)
Friedrich Engels, aus: Zur Wohnungsfrage, 1872